Ein Tierheimhund soll es sein

Ranja

Für einige Menschen, die an die Anschaffung eines Hundes denken, steht schon zu Beginn ihrer Überlegungen unumstößlich fest: Es muss einer aus dem Tierheim sein.

Gewiss ist diese Entscheidung zunächst einmal sehr lobenswert. Gerade „Secondhandhunde“ verdienen eine neue Chance, sie wollen auch leben. Nur was man nun allgemein unter „leben“ versteht, darüber gehen die Meinungen auseinander. Ich denke, viele Menschen machen es sich zu einfach und setzen „leben“ mit „am Leben bleiben“ gleich, obwohl diese beiden Begriffe in meinen Augen nur sehr wenig miteinander zu tun haben. Neben den vielen, vielen Besitzern, die jede Minute Zeit für Ihren neuen Hund mit Vergangenheit opfern und bereit sind, alles nur Erdenkliche für ihn zu tun, hört bei einigen „Tierschützern“ die Liebe mit der Befreiung bzw. „Rettung“ der Hunde aus schlechten Verhältnissen auf. Nach dem Motto: „Wenn der Besitzer nach der Weitervermittlung nur genügend Liebe und Geduld mitbringt, wird’s schon klappen. Und wenn nicht, dann lag’s am Menschen und wir müssen eben einen anderen für den armen Hund suchen.“

Tatsächlich dreht sich mir und sicher auch vielen anderen bei einigen Präsentationen (nicht bei allen!) der abzugebenen Tierheimhunde im Fernsehen der Magen um. Da wird dann von „etwas aggressiv gegenüber anderen Rüden“ gesprochen – und im gleichen Atemzug von „das ist aber normal“. Ich schaue mir den schätzungsweise 40kg schweren und ca. drei Jahre alten Schäfermischling an, der da hocherhobenen Hauptes in die Runde blickt, dann vor innerer Selbstüberzeugung kaum ein paar Schritte laufen kann und zum guten Schluss noch bald die Moderatorin begießt.

Nun ja, immerhin wird von „in erfahrene Hände“ gesprochen, aber eher in dem Ton, dass es eben einer sein muss, der den Hund kräftemäßig halten kann, weil ja, nun weil sowieso nichts mehr zu retten ist.

Hier nun zwei ganz klare Sätze:

  1. Kein Mensch der Welt kann auf Dauer auf dieser Basis mit einem solchen Hund zusammenleben
    und
  2. Jeder Hund, der nicht genetisch geschädigt ist (und die kann ich an einer Hand abzählen) ist lernfähig! Sein ganzes Leben lang!

Aber es gibt natürlich einen Haken: Tierheimhunde können sehr problematisch sein. Das liegt an einer ganzen Reihe von Faktoren. Viele wurden schlecht behandelt, andere sind dagegen nie erzogen worden. Das kann für den neuen Halter u.U. sehr kritisch sein, der sich plötzlich einem selbstbewussten „größenwahnsinnigen Napoleon“ gegenübersieht. Oder der neue Hund ist so ängstlich, dass man gar nichts mit ihm unternehmen kann. So hat man sich das ganze Unternehmen „unser Hund aus dem Tierheim“ auch nicht vorgestellt. Schließlich tut man alles, um dem Hund ein gutes Zuhause zu geben und trotzdem uriniert er vor Angst, wenn Onkel Hans zu Besuch kommt oder draußen die Müllabfuhr vorbeifährt. Peinlich!

Allerdings existiert noch eine dritte Sorte von Tierheimhunden, die oft völlig bedenkenlos an Interessenten abgegeben werden. Diese Hunde sind furchtbar lieb gegenüber Mensch und Tier, sie haben nur einen Fehler: Sie leben mit soviel Energie und Temperament, dass sie ihren Besitzern 24 Stunden täglich auf die Nerven fallen und nur Blödsinn anstellen. Schon steht man wieder da: Was mache ich bloß? Dieser Hund schafft mich!

Inzwischen gibt es vielfältige Literatur zum Thema „problematischer Hund“. Die meisten Bücher sind allerdings nur unter einer Bedingung zu lesen – sie dienen der Ergänzung und sind praktisch so aus dem Stehgreif kaum anwendbar. Was nun?

Fangen wir noch einmal von vorne an. Sie sprechen im Tierheim vor und wollen einen Hund. Zunächst müssen Sie Ihre Wünsche genau analysieren. Welche Vorstellungen haben Sie, und zwar nicht nur optischer Natur, sondern auch charakterlich! Und dann müssen Sie wissen, dass es Einschränkungen gibt, dass Sie Ihren Hund nicht wie normgerecht von der Stange kaufen können. Vielleicht werden Sie erst einmal enttäuscht sein, sauer, entsetzt, geschockt – sind Sie bereit, etwas dagegen zu unternehmen? Nicht in dem Sinne, dass Sie den Hund wieder zurückbringen und sich einen anderen holen, sondern sind Sie gewillt, mit Ihrem Hund zu lernen?

Manche haben das Glück und kommen allein oder mit Hilfe von erfahrenen Bekannten zurecht. Auch haben sie selbst schon Hunde besessen und Talent bewiesen. Ihr ausgewählter Tierheimhund ist nicht einfach, aber durchaus schnell lernfähig – wenn man selbst genügend Konsequenz beweist.

Jimmy. der Huskymix, ist ein solcher Fall, obwohl seine Besitzer sich mit der bloßen Normalerziehung nicht zufriedengaben und dann doch auf die Wiese kamen. Aber sie hatten schon Schlittenhunderfahrung und auch die Einstellung: „Wenn der Jimmy meine Zeit braucht, dann arbeite ich eben nur noch halbtags.“ Weil er im Alter von neun Monaten schon recht selbstbewusst auftrat, unverträglich und unkonzentriert war, wurde er kastriert und dann stur das Gehorsamsprogramm aufgenommen. Mit Erfolg: Ein dreiviertel Jahr später kann man auf erste Obedience- und Agilityerfahrungen zurückblicken und die mittlerweile selbstverständliche Gruppenarbeit wird ohne Leine absolviert.

Ein halbes oder auch ein ganzes Jahr Arbeit mit einem ehemaligen Tierheiminsassen sind sehr wenig Zeit, denn normalerweise dauert es zunächst Wochen und Monate, bevor der Hund alle Verhaltensweisen (Unsicherheiten, Ungehorsam, Agressionen usw.), die einen verzweifeln lassen, auch zeigt. Das bedeutet in der Praxis, dass man sehr vorsichtig zu Werke und immer auf Überraschungen gefasst sein muss.

Auch Welpen und Junghunde können unter die Kategorie der schwierigen Hunde fallen. Blacky kam als kleiner Welpe ins Heim, nachdem ihn die Polizei wegen Mißhandlung beschlagnahmt hatte. Dort wurde er dann auch alsbald vermittelt. Mit seinen nunmehr 15 Monaten stellt er uns bei seinen ersten Besuchen auf eine harte Probe. Er lässt sich nicht anfassen, eine falsche Bewegung und weg ist er. Mit Futter kann man ihn nicht locken – zwecklos, er nimmt auch keine Wurst. Auch in den folgenden Wochen ändert sich das Bild rein gar nicht, aber Frauchen gibt nicht auf und wir auch nicht.

Endlich nach Wochen kann meine Freundin freudestrahlend verkünden: „Er hat mir aus der Hand gefressen!“ Nun, nach 5 Monaten Training, haben wir schon einiges erreicht: Blacky geht sogar schon zu Fremden hin, frisst bestimmte Futtersorten von der Hand und lässt sich streicheln! Außerdem hat er nun eine Freundin: Moppche, die aussieht wie er.

Natürlich muss Ihr neuer Freund aus dem Tierheim nicht schwierig sein, es gibt genügend unproblematische Tiere! Aber man muss immer damit rechnen, dass man sich täuscht und – auch das gibt es leider – man nicht die Wahrheit im Tierheim erfährt.
Pascha beispielsweise ist im Grunde ein lieber Kerl. Außer dass er vielleicht die merkwürdige Eigenschaft hat, alle Bälle im Umkreis von 10 km zu finden und einzukassieren. Trotzdem, seine neuen Besitzer hätten nach wenigen Wochen aufgegeben, wären sie auf keine Hilfe gestoßen. Pascha gehört zu den Hundetypen, die ihre Umwelt mit Charme unter Druck setzen und oft merkt man viel zu spät, dass man da eine Führernatur vor sich hat. Inzwischen sind über 5 Jahre vergangen und trotz Kastration ist Pascha unangefochtener Herr über alle Hunde bei uns. Selbst die jungen Rüden gehen ihm (noch) aus dem Weg und Tim, sein Vorgänger als „Rudelboß“, hat sichtlich Respekt vor ihm (Der Wechsel geschah übrigens innerhalb von Sekunden).

Der Weg zum gehorsamen Hund war weit und nicht selten fragt man sich, ob man es überhaupt schafft. Leider sehen wir immer wieder Besitzer/Hundkombinationen, die einfach nicht zueinander passen und die deshalb keinerlei Chance haben. Da fehlt es einfach im Vorfeld an genügend Informationen und ehrliche Selbsteinschätzung. Viele Tierheime bieten auch zuwenig Lösungsmöglichkeiten, indem sie noch nicht einmal die Erlaubnis für einen Probespaziergang geben, mit Vorgeschichten der Hunde hinterm Berg halten oder sie (z.T. aus blanker Unwissenheit) verfälschen. Allerdings existieren auch Gegenbeispiele von Tierheimen mit genügend erfahrenen Personal, täglichen Ausgehzeiten für Leute, die mit den Hunden spazierengehen (und natürlich sofort mehr über sie wissen und weitergeben können!) und kontrollierter Gruppenhaltung mit vernünftiger Hundeanzahl. Einige wenige Heime arbeiten sogar mit Hobbyausbildern zusammen, die Hunde vor und nach ihrer Weitervermittlung in Einzel- und Gruppenarbeit betreuen.

Manche Leute, die mit einem Tierheimhund Pech hatten, rennen beim nächsten Hundekauf zum Züchter und meinen, daß sie hier eben einen besseren, weil auch teureren, Hund erwerben können. Weil sie sich vorher wieder nicht eingehend informiert haben, geht das Unternehmen erneut schief. Andersherum gibt es Leute, die viel Glück mit einem völlig unproblematischen Tierheimhund hatten und diese Erfahrung verallgemeinern und als Rat ahnungslosen Interessenten weitergeben: „Gehen Sie unbedingt ins Tierheim. Die Hunde dort sind ja so lieb und dankbar!“

Tatsache ist, dass man zunächst sein eigenes Umfeld sehr genau unter die Lupe nehmen muss. Habe ich Kinder, kann ich keinen dominanten und unerzogenen Hund aus ungeklärten Verhältnissen gebrauchen. Das kann lebensgefährlich werden! Allerdings wird man mit dem 6jährigen Cocker-Colliemix im Nachbargehege, der nur abgegeben wurde, weil sein Herrchen ins Altenheim musste, vielleicht glücklicher als mit jedem anderen Hund.

Aber es ist nicht einfach, den richtigen Hund zu finden. Nehmen Sie ruhig hundeerfahrene Bekannte mit ins Heim und fahren Sie vielleicht auch noch zu ein paar weiteren Tierheimen und schauen sich dort um. Es gibt Hunde, die waren bis zu ihrem ersten Lebensjahr in 8 verschiedene Hände. Es gab einen Hund bei uns, der wurde süchtig gemacht, andere lebten jahrelang im Keller und wurden verprügelt. Fast alle Hunde hatten mehr oder weniger Angst vor Männern, die man aber mit viel Geduld und Üben bei allen Hunden unter Kontrolle brachte. Die meisten Vierbeiner sitzen heute am liebsten auf dem Schoss. Trotzdem lässt sich nicht generell sagen, dass diese Hunde zwangsläufig problematisch sind. Es erstaunt mich immer wieder, dass ein Junghund, der durch 5 Hände ging, im Zwinger saß und von Kindern mit Steinen beworfen wurde als völlig verschmuster, lieber Hund vor mir sitzt und mir das Gesicht ableckt.

Es ist unglaublich, was manche „Menschen“ ihren Miterdenbewohnern alles antun können und es ist schön, dass es wiederum Menschen gibt, die diesen psychischen und physischen Marterungen entgegentreten wollen und diese Hunde übernehmen. Aber bitte überschätzen Sie sich nicht selbst und geben Sie sich und dem Hund eine faire Chance! Es gibt leider Leute, die bringen den Hund beim ersten Angstknurrer zurück oder sind entsetzt, dass der Hund in den ersten Tagen verstört ist. Damit muss man rechnen und solche Leute dürfen in meinen Augen überhaupt keine Hunde haben!
Es ist sicher, dass Sie eine große Verantwortung übernehmen – unterschätzen sie die niemals!

Im übrigen geben Sie auch den älteren Hunden eine Möglichkeit, einen geruhsamen Lebensabend zu verbringen. Diese Hunde haben gerade für Anfänger viele Vorteile, da man sie besser einschätzen kann. Dass man nach der Übergabe erstmal nach Flöhen, Milben und Würmern Ausschau halten muss, ist verständlich und dass Sie keinen Hund für die Zucht und Ausstellungen erwerben, ist auch klar. Bei einigen Rassehundtreffs finden sich immer wieder Leute, die neben ihren internationalen Champions auch einen guten Onkel aus dem Tierheim für die Welpen und den Ausstellungsbesuchen dabeihaben. Das klappt hervorragend und ist sicherlich für viele Menschen der ideale Kompromiss. Deshalb ist es für mich auch kaum verständlich, dass es „Tierschützer“ gibt, die jeden Züchter, ohne ihn gesehen zu haben, verteufeln. Das ist natürlich sehr engstirnig gedacht und ich möchte nicht wissen, was passiert, wenn es keine kontrollierten und überwachten Rassezuchten mehr gibt. Von diesen Vereinen gibt es übrigens etliche, die im direkten Kontakt zu den Tierheimen stehen und sofort präsent sind, falls ein Exemplar ihrer Rasse dort abgegeben werden sollte.

Es gibt sicher viele Leute, die ja zu einem Tierheimhund sagen können, gleichgültig ob sie einen großen, kleinen, weißen, braunen, Mix oder Rassehund erwerben möchten. Nur bedenken Sie immer: Keine Spontankäufe, viele Gespräche im Vorfeld führen und hinterher nicht zu früh aufgeben!