Auch wenn ich schon seit Wochen wusste, dass uns nicht mehr viel Zeit mit Inca bleibt, so war es doch unglaublich schwer, die Entscheidung am Montag Ende April zu treffen. Und da hilft es auch nicht zu sagen, es ist richtig so und sie ist nicht nur alt, sie ist einfach steinalt, es ist und bleibt unfassbar.
Inca schneite am 15. Juli 2000 wie ein Wirbelwind in unser Leben und heute denke ich, wir zwei haben uns wirklich gesucht und gefunden. Vor ihr hatte ich mir ja schon zwei Hunde ausgesucht, beide Vermittlungen klappten nicht. Dann sah ich dieses Foto unter hundert anderen auf der Internetseite und – das war’s. Sie erinnerte mich an Tim, die Beschreibung war genau das, was ich suchte. Sie liebte Kinder, sie hatte Temperament, sie wäre misstrauisch Fremden gegenüber, mal sehen…
Kurz vor ihrem Abflug in Madrid, wo sie seit einem halben Jahr auf einer Pflegestelle saß (den Fotos nach draußen im Hof) der Anruf, dass Leishmaniose nicht ausgeschlossen werden könne. Ich könne sie als Pflegehund haben oder sie bliebe einfach noch in Madrid und ich könnte mir die Sache in Ruhe überlegen. Als ich nach einer Sekunde Überlegung meinte, ich nehme sie trotzdem, fing die Frau, die sie auf der Straße gefunden hatte, am Telefon fast an zu weinen und sicherte mir jede Unterstützung zu.
Am Flughafen ein paar Tage später rollte der Gepäckwagen mit mehreren Kisten durch die Kontrolle und die allererste Frage an die Wartenden war, ob Frau Tschepe auch da wäre…
So bekam Inca ihr erstes Halsband an und wir gingen Richtung Auto. Ungefähr 5 Minuten, dann stand sie ohne Halsband da. Und ich packte Gott sei dank sofort zu! Und trug sie zum Auto… Dort rollte sie sich zusammen und schlief bis Schelsen. Balzak empfing sie mit strahlenden Augen und dem Blick: „Ist das jetzt meine???“
Inca eroberte nach zwei Stunden meinen Schoss und knurrte Balzak von oben an – es folgte ihr erster Abflug Richtung Boden.
Draußen war es die Hölle mit ihr… ich weiß, dass ich in den nächsten Tagen im Elsbachtal stand und einfach nur fertig mit der Welt war. Dieser Hund zog wie eine Irre und ich war ihr völlig wurscht.
Acht Monate hielt dieses Tauziehen an – was ist wichtiger – der Punkt am Horizont oder ich direkt neben dir? Und ich musste mühsam lernen, dass ich mit diesem Hund etwas in mein Leben geholt hatte, was anders war als die Hunde davor. Inca brauchte keine Menschen, die kam allein zurecht. Auch wenn sie immer mehr die Bequemlichkeit eines deutschen Stubenhockers zu würdigen wusste, ein bisschen „wild“ blieb sie immer.
Erst nach einem Jahr habe ich sie in Frimmersdorf mal von der Leine gemacht – und weg war sie. Bis zum Ende der Welt und wieder zurück. Leckerchen abgestaubt, ein Glanz in den Augen und wieder weg. 2 Stunden nonstop, wenn sie durfte und nie müde…
Wenn wir mit mehreren Hunden unterwegs waren, musste sie immer vorneweg sein – bis fast bis zum Schluss.
Was haben die Hütehunde nicht immer versucht, sie unter Kontrolle zu halten: Toffi, Elton… 😉
Für meinen Alltag in der Hundeschule und auf Seminaren und Veranstaltungen war Inca einfach ein Sechser im Lotto. Sie war manchmal fünf Stunden mit mir on Tour, im Einzeltraining als Ablenkung, in den Gruppen – sie machte alles gerne. Nur eine Sache bekamen meine Kunden nie mit: Wenn der Letzte gegangen war und Inca merkte, jetzt geht es nach Hause. Dann raste sie los und machte Bocksprünge, fixierte mich kurz und raste wieder los und freute sich ihres Lebens.
Seminare hat sie viele gesehen, die Trumlerstation, die Vorträge in Düsseldorf, den Dog Day in Düsseldorf, Hundetreffen aller Art, Dortmund fand sie auch toll. Je mehr Menschen und Hunde um sie waren, umso besser. Das bedeutete stets Aufmerksamkeit und vielleicht was zu essen – und dafür lebte man ja schließlich!
Wie oft ist sie bewundert worden und die es immer besonders gut wussten, kamen in der Pause an: „Und das ist ein Harzer Fuchs?“ Nee, wahrscheinlich nicht…
Aber es machte mich neugierig auf diesen Schlag Altdeutschen Hütehund – also einen reinen Arbeitshund, wie ihn Schäfer heute noch einsetzen. Vor wenigen Jahren hatte ich in Duisburg die Gelegenheit, sie live bei der Arbeit mit Schafen zu sehen. Inca, was die Schnelligkeit, Ausdauer und Gewandheit anging, im Original! Nur dass Inca in all den Jahren nie auch nur eine Spur von Hütetrieb gezeigt hat 😉
Schafe waren ihr egal, ebenso wie Pferde oder Kühe oder sogar Rehe. Fasane hat sie nie auch nur eines Blickes gewürdigt. Aber das war ja auch alles keine Beute. Und darum ging es Inca – was kann ich kriegen und auffressen? Und das hat sie des Öfteren geschafft. An der Leine, im Vorbeigehen, zugepackt, hoch geschmissen, runtergeschluckt. Und ich wusste noch nicht mal, was es überhaupt war (wollte ich, glaube ich, auch nicht wissen).
Das war die Kehrseite von diesem liebenswerten Hund, am Anfang durfte sie meinen Kaninchen nur mit Maulkorb begegnen, das war eine Arbeit!
Die letzten Jahre hat Inca durchaus mal allein ohne Maulkorb oder Leine mit den Kaninchen im Garten zugebracht. Oh ja, sie war lernfähig.
Kinder gingen über alles, wenn sie eines sah, bekam sie sofort einen gluckenhaften Ausdruck im Gesicht. Sie hat sich als Prinzessin verkleiden lassen und hat mit 1000 Kindern ihre Tricks gezeigt. Und davon konnte sie viele! Dogdancing war ihr Ding, das fand sie klasse und mit Frauchen hat sie sogar mal eine Kür zur Musik von Miss Marple einstudiert. Unsere Begleithundprüfung war dagegen nichts, was wir wiederholten wollten. An dem Tag war ich die einzige, die das Stachelhalsband nicht kurz vor der Prüfung verstecken musste – so schlecht drauf habe ich meinen Hund nie wieder erlebt. Wir waren beide von der Atmosphäre erschüttert, obwohl wir bestanden haben.
Dafür glänzten wir in Dortmund auf der Welthundeausstellung mit fast 18 000 Hunden. Den Mischlingswettbewerb gewannen wir souverän mit einer kleinen braunen Hündin, die in den Ring kam und von Anfang bis Ende ausstrahlte: „Ich habe sowieso schon gewonnen, was wollt ihr alle hier???“ Inca hatte Spaß! Und gewann einen Sack Futter…
Die Halle mit den Fressalien war ihr Hauptziel in Dortmund, was hat die immer alles abgestaubt… und an dem Stand mit dem Intelligenzspielzeug konnte sie es kaum ertragen, wie blöde sich manche Hunde anstellten und schob sie einfach beiseite…
Als mein Buch über die Auslandshunde fertig war, kam Inca selbstverständlich vorne drauf – und so geht sie heute noch über die Landentheke.
Die Eifel war ihre zweite Heimat – genau wie meine. Mit Balzak und später mit Kiwi eroberten wir die Wanderwege von Blankenheim bis Trier.
Dort konnte man Inca erleben, wie man es kaum beschreiben kann. Bergziegeninca raste die Abhänge rauf und runter ohne Rücksicht auf Verluste. Sie hat sich nie auch nur einmal verletzt. Es war einfach faszinierend, ihr zuzusehen.
In Stadtkyll vor fünf Jahren passierte es dann, dass Inca plötzlich hinter mir ging. Sie konnte nicht mehr… Zuhause die Diagnose, Herz und Tabletten. Für mich brach irgendwo die Welt zusammen. Dieser Hund war doch nicht unsterblich.
Aber Inca fand sich damit ab und dank der Tabletten erreichte sie ihre alte Form schnell zurück.
Zwei Jahre später wieder in der Eifel plötzlich der dicke Knubbel am Ellbogen. Wieder zu Hause direkt OP, bösartiger Tumor.
Wir stellten die Ernährung noch einmal um, nichts mehr an Getreide. Und Inca erholt sich wieder und ist wieder ganz die Alte.
Irgendwann wurde auch Inca ruhiger, aber das hielt sie nicht davon ab, der Hundeschule die Treue zu halten. Immer wenn ich mir Gedanken machte, ob ich sie nicht doch in Rente schicken sollte, stand sie am nächsten Tag als erste an der Tür.
Inca ist am Sonntag mit ihrem Rudel noch im Park von Schloss Dyck gewesen. Sie hat James, Dutch und Ronja, Birgit, Gertrud und Andreas getroffen.
Die Nacht war dann leider so, dass wir sagten, dass wir keine Wiederholung zulassen würden.
Am Montag hat sie aber noch gefressen und ist ein paar Schritte gelaufen, vor der Praxis trafen wir zufällig Amira und so ist Inca gegangen, wie sie gelebt hat: mit einer Menge toller zwei- und vierbeiniger Freunde um sich herum.
Die Hexen von Eastwick Eszti, Bonnie und Inca sind nun wieder zusammen. Sie sieht ihre großen Freunde Balzak und Chico wieder genauso wie Zurana, Hexe, Faro, Ebby, Sheila und wie sie alle heißen…
17 Jahre durfte sie werden, ein biblisches Alter für einen Straßenhund, der zwar einen Leishmaniose Titer hatte, aber wo die Krankheit nie ausgebrochen ist. Der trotz seiner Wildheit keinem Auto zu Nahe kam und gute Laune versprühte, wo es nur ging.
Und ich weiß noch, wie meine Freunde meinen Entschluss, diesen Hund aus dem Internet zu nehmen, kommentierten mit den Worten: „Du bist ja verrückt!“
„Sie ist ein Engel“ stand in der Vermittlungsbschreibung. Ja, Inca das bist du wirklich.
Mach’s gut, Oma Trulla – danke für die wunderschöne Zeit mit dir.